Vegane Ernährung

Dez 1, 2022 | Allgemein

Kann sie vor Krankheiten schützen?

 

Jeder dürfte jemanden kennen, der an einer chronischen Krankheit leidet. Ob Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck oder auch starkes Übergewicht – oft hört man resignierende Aussagen von Betroffenen: „Mein Vater ist an einem Herzinfarkt gestorben, das wird mir auch irgendwann passieren.“, „Schon meine Großeltern waren übergewichtig, meine Eltern sind es auch, das sind die Gene.“

Nicht selten geben Betroffene auf, weil sie davon überzeugt sind, ihrem Schicksal ausgeliefert zu sein. Oft suchen Betroffene dann leider keine Ernährungsberatung auf. Zu recht? Sind die Karten schon gemischt und verteilt – oder können wir sie neu mischen und ein besseres Blatt bekommen?

Einfluss der Gene

Es gibt zwar Gene, die dafür sorgen, dass manche Menschen mit einer Neigung zum Übergewicht ausgestattet sind. Aber nun die gute Nachricht: Diese Gene erklären Gewichtsveränderungen zu weniger als 3 %, wie eine Forschergruppe herausfinden konnte (Locke et al., 2015). Das heißt: Grundsätzlich gibt es so etwas wie eine Veranlagung zu Übergewicht – aber wir können uns bewusst zur Gewichtsreduktion entscheiden, wobei eine Ernährungsberatung eine sehr gute Hilfe ist. Denn im Rahmen einer qualifizierten und strukturierten Ernährungsberatung ist es möglich, das Ernährungsverhalten so anzupassen, dass eine Gewichtsreduktion begünstigt wird und auch nachhaltig ist. Wir streben keine Crash-Diät an, sondern langfristige und bedarfsdeckende Verbesserung.

Für eine Gewichtsreduktion und zu Präventionszwecken ist eine vegane Ernährung eine ziemlich gute Idee – wenn sie gut geplant ist! Eine gute Planung unterstützt Sie dabei, eine bedarfsgerechte Ernährung sicherzustellen, so dass keine Nährstoffmängel resultieren. Dies ist übrigens bei allen Ernährungsformen, auch der Mischkost, wichtig.

Sehen wir uns im folgenden einmal einige Vertreter pflanzlicher Lebensmittelgruppen an, um einen Einblick zu bekommen.

Obst und Gemüse: Champions in Sachen Nährstoffdichte

An vielen Erkrankungen, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas, sind entzündliche Prozesse beteiligt. Obst ist da sehr nützlich, nehmen wir Beeren zum Beispiel. Sie enthalten von allen Lebensmitteln die meisten Antioxidanzien, daher können sie Entzündung gut entgegenwirken (Joseph et al., 2014). Darüber hinaus tragen Beeren zu einer Senkung verschiedener Risikofaktoren wie LDL-Cholesterol, Blutdruck, Nüchtern-Glukose und BMI bei (Huang et al, 2016). Gut fürs Gehirn sind sie auch (Miller et al., 2018).

Gemüse ist ebenfalls gut für uns, so etwa jene aus der Gruppe der Kreuzblütler. Dies sind Kohlsorten (wie Grünkohl, Blumenkohl, Brokkoli) und Pak Choi, Kresse oder Kohlrabi. Hier ist mit Sulforaphan eine Substanz enthalten, die eine Vielzahl guter Eigenschaft mit sich bringt: Es kann die körpereigene Entgiftung unterstützen (Fahey & Talaley, 1999), oxidativem Stress entgegenwirken (Guerrero-Beltrán et al., 2012) und helfen, neurodegenerativen Erkrankungen vorzubeugen (Tarozzi et al., 2013). Es scheint sogar möglich zu sein, es im Rahmen von Krebsprävention und -therapie unterstützend einzusetzen (Clarke et al., 2008, Filmognary & Hrelia, 2007).

Der Haken ist, dass Sulforaphan erst gebildet wird, wenn die Zellwände der Pflanze beschädigt werden, sei es durch Kauen, Mixen oder Schneiden. Daher ist es durchaus nicht verkehrt, jene Gemüse auch roh zu verzehren.

Wie funktioniert das? Kreuzblütler enthalten eine Substanz, die beim Zerkleinern mit einem ebenfalls enthaltenen Enzym in Kontakt kommt –dadurch wird Sulforaphan gebildet. Nun tritt ein kleines Problem auf: Das Enzym ist nicht hitzestabil, d. h. man müsste das Gemüse vor dem Kochen zerkleinern und ca. 40 Minuten warten. Erst dann ist das Sulphoraphan fertig und der leckeren Kreuzblütler-Suppe steht nichts mehr im Weg.

Wenn man aber nicht warten möchte, kann man auch sofort kochen, beim Servieren dann aber der besagten Kreuzblütler-Suppe ein wenig rohen Kreuzblütler hinzugeben. Aber Vorsicht: Wenn Tiefkühl-Ware eingesetzt wird, kann kein Sulforaphan gebildet werden, da vor dem Verpacken einmal blanchiert wird.

Bei Zwiebelgewächsen, also Knoblauch, Zwiebeln, Lauch, Schnittlauch, Fenchel, verhält es sich ähnlich wie bei den Kreuzblütlern, allerdings bildet sich die fertige Substanz, hier: Allicin, schon innerhalb von 10-15 Minuten. Zwiebelgewächse verfügen über ein krebspräventives Potenzial, in Bezug auf Prostatakrebs sind dies z. B. Grünkohl, Lauch, Knoblauch und Rosenkohl (Boivin et al., 2009). Darüber hinaus unterstützt beispielsweise Knoblauch bei Bluthochdruck (Wang et al., 2015) und senkt den Nüchtern-Glukosespiegel (Hou et al., 2015).

Hülsenfrüchte: Ballaststoff- und Protein-Superstars … und Eisen ist auch drin

Es gibt Dinge, die können anscheinend nur Hülsenfrüchte. So waren diese in einer Untersuchung als einzige Lebensmittelgruppe in der Lage, das Sterblichkeitsrisiko bei alten Menschen signifikant zu senken, und zwar um 7-8 % je 20 g Erhöhung der Tageszufuhr (Darmadi-Blackberry et al., 2004). Darüber hinaus zeichnen sich Hülsenfrüchte für den sog. Second-Meal-Effekt verantwortlich, bei dem der Glukosespiegel nach der darauffolgenden Mahlzeit weniger stark ansteigt (Wolever et al., 1988).

Hülsenfrüchte stellen, neben Vollkorngetreide sowie Nüssen und Samen, auch eine gute Proteinquelle dar. Der Vorteil gegenüber tierischen Proteinquellen liegt zum einen im Fehlen des grundsätzlichen Risikos hormoneller Beeinflussung. So kann etwa der Verzehr von Milch unseren Hormonhaushalt beeinflussen. Milchkühe sind i. d. R. dauerschwanger, wie in einem Bericht von Planet Wissen beschrieben, so dass die Milch weibliche Hormone enthält. Es konnte gezeigt werden, dass der Verzehr von Kuhmilch den Östrogenspiegel erhöht und den Testosteronspiegel absenkt (Maruyama et al., 2010). Zumindest bei Männern steht ein niedriger Testosteronspiegel möglicherweise mit Übergewicht in Verbindung (Khaw & Barrett-Connor, 1992).

Auch die Ausschüttung von Stresshormonen scheint von der Ernährung mit beeinflusst zu werden. Entsprechend wies eine Studie nach, dass der Cortisolspiegel nach einer Mahlzeit reich an tierischem Protein anstieg, nach einer ballaststoffhaltigen Mahlzeit jedoch sank (Gibson et al., 1999). Ein Ernährungsmuster, das grundsätzlich viel tierisches Protein enthält, so die Forschergruppe, könnte zu einer dauerhaften Stimulation des (Stress-) Hormonsystems führen. Und umgekehrt: Ist das Stresslevel höher, wird weniger Obst und Gemüse gegessen (Tryon et al., 2013). Dies ist ein Teufelskreis, den es zu unterbrechen gilt. Mit anderen Worten: Eine Ernährungsberatung kann auch bei Stress helfen, da die Ausschüttung von Stresshormonen von der Ernährung mit beeinflusst wird.

Hier ist folgender Zusammenhang interessant: Forscher fanden heraus, dass der Cortisolspiegel während der Schwangerschaft mit jenem des Nachwuchses zusammenhängt. Pro tägliche Portion Fleisch oder Fisch stieg der mütterliche Cortisolspiegel um ca. 5 % an, sank jedoch um etwa 3 % pro tägliche Portion grünes Gemüse (Herrick et al., 2003).

IGF-1 (Insulin-Like Growth Factor 1), ein Wachstumshormon, steht im Zusammenhang mit Brustkrebs (Murphy et al., 2020) und Prostatakrebs (Roberts, 2004). Dieses Hormon ist unter Zufuhr tierischen Proteins höher als bei pflanzlichem Protein (Allen et al., 2002).

Hülsenfrüchte sind für die Deckung des Eisenbedarfs besonders interessant, da es hier in Form von Ferritineisen vorliegt, das direkt in den Darmzellen aufgenommen werden kann (Günther, 2019). Bei der „herkömmlichen“ Form des pflanzlichen Eisens ist der gleichzeitige Verzehr resorptionsfördernder Lebensmittel sinnvoll, wie z. B. Zitrusfrüchte, Paprika, Süßkartoffeln oder Beeren. Resorptionshemmende Lebensmittel, wie z. B. Tee, Kaffee, Schokolade oder Vollkorngetreide müssten dann zeitlich versetzt verzehrt werden.

Das in tierischen Lebensmitteln enthaltene Eisen geht mit einem höheren Risiko für Koronare Herzerkrankung einher, pflanzliches Eisen jedoch mit einem geringeren (Hunnicutt et al., 2014). Auch Diabetes mellitus Typ 2 (Bao et al., 2012) und Darmkrebs (Fonseca-Nunes et al., 2014) stehen im Zusammenhang mit tierischem Eisen. Die EFSA äußert ebenfalls Zweifel an der Sicherheit tierischen Eisens.

Nüsse und Samen: Gut für Gewichtsmanagement

Aufgrund ihrer besonderen Zusammensetzung wirken sich Nüsse sehr günstig auf die Sättigung aus, wodurch sie bei Gewichtsreduktion (die mit einer ansonsten gesunden Ernährungsweise einhergeht) hilfreich sind. Tatsächlich hängen Nüsse mit einem geringeren Körpergewicht zusammen (Casas-Agustench et al., 2011). Allerdings sollten die Nüsse möglichst naturbelassen sein, damit man in den vollen Genuss der Vorteile kommt. Bei Bluthochdruck ist insbesondere bei gesalzenen Nüssen Vorsicht geboten, um die empfohlene maximale Tageszufuhr nicht zu überschreiten. Aufgrund der hohen Energiedichte empfiehlt es sich, Nüsse in überschaubaren Mengen zu essen, etwa eine Hand voll pro Tag. Das gleiche gilt für Samen, wie z. B. Leinsamen, Kürbiskerne oder Sesam. Insbesondere Leinsamen und Walnüsse sind gute Lieferanten essenzieller Omega-3-Fettsäuren.

Leinsamen enthalten auch antikanzerogene Substanzen (Singh et al., 2011). So besteht die Möglichkeit einer gewissen schützenden Wirkung bei bestimmten Arten von Brustkrebs (McCann et al., 2006). Auch der PSA-Wert, ein Marker im Rahmen von Prostatakrebs, scheint sich durch Leinsamen absenken zu lassen (Denmark-Wahnefried et al., 2004).

Vollkorn: Mehr Nährstoffe fürs Geld

Es ist wichtig, Getreide in Form von Vollkorngetreide zu verzehren, da durch die Verarbeitung zu Auszugsmehl und daraus hergestellten Produkten wie Weißbrot, weiße Nudeln oder weißer Reis der größte Teil der Mikronährstoffe und Ballaststoffe verloren geht. Doch gerade diese haben positive Eigenschaften. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Vollkorngetreide mit geringerem Körpergewicht sowie einem geringeren Erkrankungsrisiko für Diabetes mellitus Typ 2 einhergeht (Aune et al., 2013; Chanson-Rolle et al., 2015). Vollkorngetreide ist ballaststoffreich und enthält komplexe Kohlenhydrate, die gesundheitliche Vorteile mit sich bringen, was für einfache Kohlenhydrate, wie in Weißmehlprodukten oder beispielsweise zuckergesüßten Getränken, nicht gilt. Diese gehen nämlich mit höherem LDL-Cholesterol einher (Meng et al., 2018) und sind mit Übergewicht assoziiert (Schlesinger et al., 2019).

Schön und gut, aber muss es deshalb eine vegane Ernährung sein?

Eine rein pflanzliche Ernährung ist aus gesundheitlichen Gründen nicht zwingend erforderlich. Es existieren derzeit noch zu wenige Studien, die belegen würden, dass eine 100 % pflanzliche Ernährung einer beispielsweise 90 % pflanzlichen Ernährung überlegen ist. Dennoch gibt es einige Hinweise.

Die sog. BROAD Study zeigte im Rahmen einer vollwertigen rein pflanzlichen Ernährung in Bezug auf Gewichtsreduktion und einige gesundheitliche Marker (wie LDL-Cholesterol) den nachhaltigsten Erfolg – ohne Kalorienbeschränkung. Eine weitere Interventionsstudie wies die Effektivität einer vollwertigen veganen Ernährung für Gewichtsreduktion ebenfalls nach (Kahleova et al., 2020). Das gleiche Bild zeigte sich anhand eines Vergleichs zwischen einer vollwertigen pflanzlichen und einer mediterranen Ernährung in Bezug auf Gewichtsreduktion und das Lipidprofil (Barnard et al., 2022). Ein ähnliches Ergebnis liegt in Bezug auf Diabetes mellitus Typ 2 vor, der mit einer vollwertigen veganen Ernährung besser zu begleiten war (Barnard et al., 2009).

Verschiedene Publikationen im Rahmen der Adventist Health Study 2 zeigten, dass vegan lebende Menschen im Durchschnitt über einen normwertigen BMI verfügten, während Vegetarier und insbesondere Mischköstler darüber lagen (Tonstad et al., 2009). Auch das Risiko für Adipositas, Bluthochdruck, Diabetes mellitus Typ 2 und Herzerkrankungen war in der rein pflanzlich lebenden Gruppe am geringsten (Le & Sabaté, 2014).

Vegane Ernährung: ökologische und ethische Beweggründe

Natürlich berücksichtigen wir in der Ernährungsberatung auch den ökologischen Fußabdruck einer Ernährungsweise sowie den ethischen Impact. Hier punktet eine vegane Ernährung ganz besonders, da sich hierbei spezifische Vorteile ergeben. Obst und Gemüse sind grundsätzlich klimafreundlich, während z. B. Fleisch zunehmend als klimaschädlich eingestuft wird. Man kann auch davon ausgehen, dass durch eine vegane Lebensweise je Person pro Jahr das Leben von etwa 105 Tieren (inkl. Landtiere und Fische) verschont bleibt. Auf der ethischen Seite bleibt abschließend zu sagen, dass sich keine andere Ernährungsform so stark für das Tierwohl einsetzt wie eine vegane Ernährung.

Das bedeutet aber auf keinen Fall „ganz oder gar nicht“. Ernährung ist ein Spektrum, auf dem wir uns tagtäglich bewegen, niemand muss über Nacht alle tierischen Lebensmittel aus dem Kühlschrank verbannen. Viele Menschen können beispielsweise nicht auf Käse verzichten – dann schauen wir in der Ernährungsberatung einfach, was für Sie möglich und machbar ist. Wie gesagt, Sie müssen keine Formvollendung erreichen, eine schrittweise Reduktion ist allemal besser als eine sofortige Vermeidung. Denn nur ein behutsames Vorgehen kann dafür Sorge tragen, dass eine Ernährungsweise lange anhält. Und nur dann profitieren Sie, die Tiere und die Umwelt nachhaltig davon.

Wenn eine vegane Ernährung für Sie interessant klingt oder Sie einfach mehr Obst und Gemüse in Ihren Alltag integrieren möchten, helfen wir Ihnen in einer zielgerichteten Ernährungsberatung gerne weiter. Denn wie jede Ernährungsform muss auch eine vegane Ernährung gut geplant werden, um die Zufuhr insbesondere einiger kritischer Nährstoffe, wie z. B. Vitamin B12, Jod oder bestimmte Fettsäuren, sicherzustellen. Gerade auf Vitamin B12 muss bei einer pflanzlichen Ernährung genau geachtet werden. Gemeinsam planen wir Ihre individuelle Ernährung und unterstützen Sie bei der alltagstauglichen Umsetzung.

Ihr Claus Rothenbücher vom Nutrinia Team